Mental Health – Quo Vadis?

Am 10. Oktober 2025 ist World-Mental-Health-Day!

Grund genug für uns, uns diesem wichtigen, jedoch oft versteckten Thema zuzuwenden.

In diesem Beitrag soll es jedoch nicht wie so häufig um die Verbindung von Stress und Rückenschmerz gehen. In diesem Beitrag kümmern wir uns mal um uns. Als Physiotherapeut*innen, Logopäd*innen und Ergotherapeut*innen.

Wir wollen klären, weshalb unsere Berufe eher mental als körperlich fordernd sind, welche Umgangsstrategien während und nach der Arbeitszeit ergriffen werden können und was Arbeitgeber*innen tun können, um auf die Mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden Rücksicht zu nehmen.

Dafür sprachen wir mit Dr. Maren Haselwander, promovierte Psychologin, ehemalige Physiotherapeutin und Leiterin der AG Mental Health von Physio-D (drhaselwander.de).

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Mehr AU-Tage im Gesundheitswesen aufgrund psychischer Erkrankungen (im Vergleich zu anderen Branchen)
+ 21 % AU-Tage im Vergleich zum Vorjahr (aufgrund psych. Erkrankungen)

Arbeit und Stress

„Erneuter Höchststand bei psychisch bedingten Fehltagen im Job“ [1].  So schreibt es die DAK in ihrem Psychoreport. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen die Tage der Arbeitsunfähigkeit (AU-Tage = Tage der Krankmeldung) um 21% zu [1].

Die am stärksten betroffene Branche? Das Gesundheitswesen. 46 % mehr AU-Tage als der Durchschnitt. Sprich: Ist ein Durchschnitts-Versicherter 10 Tage im Jahr wegen psychischer Erkrankungen krankgemeldet, ist es ein Versicherter aus dem Gesundheitswesen 14-15 Tage im selben Jahr! [1]

Bereits seit Langem ist bekannt, dass Menschen mit chronischem Stresserleben häufiger zu einer Vielzahl körperlicher Beschwerden wie z.B. Erkältungen, Adipositas (Fettleibigkeit), Stimmproblemen und chronischen Schmerzen neigen [2, 3, 4, 5].

Interview mit
Dr. Haselwander*

Frau Dr. Haselwander, was ist denn „Stress“ überhaupt?

Antwort: Stress ist eine Interaktion zwischen Belastungsreizen (Stressoren), der Wahrnehmung dieser und den gegenüberstehenden Bewältigungsressourcen [6]. Ob wir Stress erleben, hängt nicht nur von äußeren Belastungen ab, sondern auch davon, wie wir sie wahrnehmen und welche Ressourcen uns zur Verfügung stehen. Deshalb reagieren zwei Menschen in derselben Situation oft sehr unterschiedlich.

Gibt es in den Therapieberufen Stressoren, die immer wieder benannt werden?

Antwort: Typisch sind Zeitdruck, hohe Arbeitslast und emotionale Belastungen durch die häufige Auseinandersetzung mit Leid, komplexen Behandlungsverläufen und Schmerzen. Auch Bürokratie oder fehlende Ressourcen spielen eine Rolle.

Private Umstände wie Pflege von Angehörigen oder Alleinerziehung können die Belastung und das Burn-Out-Risiko zusätzlich verstärken [7].

Leid und komplexe Behandlungsverläufe lassen sich ja nicht vermeiden und sind Teil des Berufs. Was können Therapeut*innen denn tun, um gesünder mit diesen Stressoren umzugehen?

Antwort: Schon kleine Pausen im Alltag können viel bewirken: ein kurzer Blick in die Ferne entspannt die Augen, tiefe Bauchatmung aktiviert das Nervensystem und ein Small Talk mit Kolleginnen lockert die Stimmung. Ebenso wichtig sind klar geregelte Arbeits- und Pausenzeiten sowie die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und auch einmal „Nein“ zu sagen. Bei schwierigen Patient*innen oder Konflikten am Arbeitsplatz ist es sinnvoll, sich Unterstützung zu holen – zum Beispiel durch Intervision (einem Angebot von Physio-D), bei der Therapeutinnen ihre Erfahrungen austauschen und gemeinsam Lösungen entwickeln.

Was kann man auch nach der Arbeit tun, um besser mit Stressoren umgehen zu können?

Antwort: Zur Erholung eignen sich viele Wege: körperliche Methoden wie Yoga, Atemübungen oder Progressive Muskelrelaxation, geistige Techniken wie Meditation oder Traumreisen sowie soziale Aktivitäten mit Familie und Freundinnen. Auch gesunde Ernährung, wenig Koffein oder Alkohol am Abend, ausreichend Schlaf und eine gute Schlafhygiene sind wichtig. Kleine Rituale wie ein beruhigender Tee oder ein Hörspiel können zusätzlich helfen, besser abzuschalten.

Arbeitgeber*innen sollten wegen der hohen Anzahl an AU-Tagen im Gesundheitswesen ein großes Interesse an der Mental Health ihrer Mitarbeitenden haben. Was können Arbeitgeber*innen tun, um diese zu fördern bzw. zu schützen?

Antwort: Jedes Team hat eigene Bedürfnisse, daher sind individuelle Lösungen wichtig. Grundlegend sind klare Rollen, offene Kommunikation, ausreichend Ressourcen (z.B. Zeit, Materialien) sowie eine konstruktive Feedback-Kultur. Therapeut*innen sollten Zugang zu gut ausgestatteten Räumen, moderner Technik und Fortbildungen haben. Wer im Beruf seine Werte und Bedürfnisse leben kann, empfindet die Arbeit als sinnvoll – ein wichtiger Schutz vor Burn-out und Bore-out. Transparente Strukturen mit Team-Meetings, Mitarbeitergesprächen und einer positiven Fehlerkultur helfen, Belastungen frühzeitig zu erkennen. Partizipative Entscheidungen sowie Angebote wie Supervision oder Intervision stärken zudem das Wohlbefinden. Weiterführend könnten Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung tiefergehende und effektive Maßnahmen ergreifen.

Vielen Dank Frau Dr. Haselwander für Ihre Zeit und Antworten!

Und Nun?

Es zeigt sich, dass mentale Gesundheit ein bedeutender Faktor in der Arbeitswelt insbesondere im Gesundheitswesen ist. Dennoch steht weder der/die Einzelne allein hilflos dar, noch sind Unternehmen machtlos.

Im Rahmen des World Mental Health Days informieren wir einerseits über die psychische Gesundheit von Physios, Logos und Ergos. Weiterführend planen wir aktuell, was wir als Therapiezentrum konkret tun können, um langfristig unsere psychische Gesundheit zu schützen. Ob durch Workshops oder Beratung von externen Profis. Wir halten euch auf dem Laufenden! Bereits jetzt geben wir durch wöchentliche Teammeetings und feste Verantwortlichkeiten Raum für offenen Austausch.

Unser besonderer Dank gilt Frau Dr. Haselwander für die Unterstützung und den kollegialen Austausch:

Dr. sc. hum. Maren Haselwander

drhaselwander.de/

info@drhaselwander.de

AG Mental Health

HINWEISE UND LITERATUR

* Aus Gründen der Lesbarkeit wurde das Interview stellenweise gekürzt.

[1] DAK-Gesundheit (2024): DAK-Psychreport 2024

[2] DeLongis, A., Folkman, S., & Lazarus, R. S. (1988). The impact of daily stress on health and mood: Psychological and social resources as mediators. Journal of Personality and Social Psychology, 54(3), 486–495. https://doi.org/10.1037/0022-

[3] KYROU, I., CHROUSOS, G.P. and TSIGOS, C. (2006), Stress, Visceral Obesity, and Metabolic Complications. Annals of the New York Academy of Sciences, 1083: 77-110. https://doi.org/10.1196/annals.1367.008

[4] Misono S, Peterson CB, Meredith L, Banks K, Bandyopadhyay D, Yueh B, Frazier PA. Psychosocial distress in patients presenting with voice concerns. J Voice. 2014 Nov;28(6):753-61. doi: 10.1016/j.jvoice.2014.02.010. Epub 2014 Jun 12. PMID: 24930373; PMCID: PMC4252975.

[5] Turk DC, Okifuji A. Psychological factors in chronic pain: evolution and revolution. J Consult Clin Psychol. 2002 Jun;70(3):678-90. doi: 10.1037//0022-006x.70.3.678. PMID: 12090376.

[6] Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, Appraisal, and Coping. Springer

[7] Burri SD, Smyrk KM, Melegy MS, Kessler MM, Hussein NI, Tuttle BD, Clewley DJ. (2022). Risk factors associated with physical therapist burnout: a systematic review. Physiotherapy. 116, 9-24. doi: 10.1016/j.physio.2022.01.005